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Gertrud Hermes 1872–1942
Gründerin, Leiterin und Bauherrin der Schule der Arbeit, Vorstand Schule der Arbeit e.V.

Gertrud Hermes (Foto Ute Richter, Atelierwand 2022)

Empfehlungsschreiben des Leipziger Oberbürgermeisters Dr. Rothe an des Wirtschaftsministerium in Dresden vom 20. Mai 1925, Stadtarchiv Leipzig, Kap 10 Nr 408 Bh 2

Der Plan einer Schule der Arbeit in Leipzig

Die angestrebte Form ist eine Bildungseinrichtung in weitestem Sinne, nicht nur Unterrichtsanstalt, sondern auch kulturpolitisches Institut. Deren Zweck es ist, jungen Arbeitern zu einer geschlossenen Bildung zu verhelfen. Die Schüler sind in erster Linie junge gelernte männliche Arbeiter zwischen 17 und 24 Jahren. Die Leitung entscheidet über die Aufnahme. Ausnahmen nach Alter und Lebensgang sind zulässig. Die Besuchsdauer beträgt in der Regel 1 Jahr.

Das pädagogische Ziel der Schule der Arbeit ist die allgemeine Wesensbildung, nicht Berufsbildung. Aber diese allgemeine Wesensbildung soll nicht ohne Beziehung zum Arbeitsleben der Arbeiters sein; sie soll es vielmehr durchdringen und von ihm durchdrungen werden. Im Gegensatz zu den bestehenden Arbeiterbildungsanstalten, die den Arbeiter viel zu sehr von der Ebene des Intellektuellen aus bilden, soll hier alle Bildungsarbeit aus dem Arbeitsleben entwickelt werden. Wir wollen den Arbeiter nicht herausziehen aus der Fabrik, sondern zu ihm hineingehen in die Fabrik. Wir wollen ihn auch nicht von der Masse lösen, sondern die Befähigten zu Kraftpunkten innerhalb der Masse machen.

Von hoher pädagogischer Bedeutung ist auch der Bau eines eigenen Heimes. Die Schüler würden in einer Umgebung leben, frei von all den hässlichen Erzeugnissen einer minderwertigen Kultur, mit denen heute die allermeisten Wohnräume angefüllt sind, frei auch von aller Romantik, die sich von den Tatsachen des gegenwärtigen Lebens abwendet. Ausgestattet mit den Errungenschaften der neusten Technik, gestaltet aus dem Geist der Gemeinschaft, wird das Heim ihnen eine Stätte bieten, die allein durch ihr Dasein und die besondere Art ihrer Gestalt bildend auf das gesamte Empfinden ihrer Bewohner einwirken wird.

Das Heim bildet den Kern der ganzen Anstalt. Es umfasst 12 Arbeiter, 2 Lehrer und 2 Hausangestellte. Die Schule der Arbeit ist die gradlinige Fortsetzung der intensiven Arbeiterbildungsbestrebungen, die in Leipzig seit 3 Jahren unter der Leitung des städtischen Volksbildungsamtes in Angriff genommen worden sind. In Mietwohnungen von mittlerer Größe (4–6 Zimmer) wurden kleine Kreise von Arbeitern gesammelt (7–12), die sich für die Dauer eines Jahres mit 1–2 Geistesarbeitern zu einer Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zusammenfanden. Die Gemeinschaft trägt die Kosten ihres Unterhalts selbst, da alle Arbeiter im Beruf blieben; nur die Lehrer werden überwiegend vom Volksbildungsamt angestellt. An den Abenden, die zu geistigem Austausch zur Verfügung stehen, wird 3 mal wöchentlich Unterricht nach bestimmten vorher vereinbarten Lehrplan betrieben. Die Verwaltung der Heime beruht auf freier Selbstbestimmung.
Im Laufe dieser 3 Jahre sind 5 solche Heime (3 Burschen- und 2 Mädelsheime) entstanden, sodass jetzt alljährlich ca. 40 junge Arbeiter und Arbeiterinnen, auch einige Angestellte pflegen dabei zu sein, diese intensive Durchbildung geniessen.
Das sechste Heim, der neue Versuch einer Schule der Arbeit, die spätestens zum April nächsten Jahres eröffnet werden soll, bedeutet eine weitere Intensivierung der Bildungsarbeit. Auch hier können Nicht-Leipziger aufgenommen werden, sobald sie in Leipzig Arbeit finden.

Auszüge aus einer „Denkschrift“ von Gertrud Hermes, 1925
Akten des Volksbildungsamtes Leipzig
Auswahl und Zusammenfassung, Ute Richter, 2022