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Schule der Arbeit 1928–33
Leipzig Schleußig

Architekt Johannes Niemeyer
Schnitt und Grundrisse der Schule der Arbeit, Zentralblatt der Bauverwaltung, Berlin, den 9. Januar 1929, Jahrgang 49 Nummer 2, S.17–21 Volkshochschulheim in Leipzig-Schleußig
(Foto Ute Richter, Atelierwand und Recherche, 2022)

Zentralblatt der Bauverwaltung, Berlin, den 9. Januar 1929, Jahrgang 49 Nummer 2
S.17–21 Volkshochschulheim in Leipzig-Schleußig
Architekt: Professor Johannes Niemeyer, Halle a.d. Saale

Das Volkshochschulheim wurde für den eingetragenen Verein „Schule der Arbeit“ im Sommer 1928 an der Stieglitzstraße in Leipzig Schleußig errichtet. Das Bauprogramm war wesentlich durch folgende Forderungen bestimmt: Im Untergeschoß eine Hausmannswohnung. Im Erdgeschoß ein saalartiger Raum mit direktem Zugang zum Garten, benutzbar für Feste, Versammlungen, Vorträge, Gymnastik und dergleichen. Dazu zwei kleinere Klassen für je 20 Schüler, eine kleine Bücherei mit Sitzungszimmer. Benutzt wird dieses Geschoß in erster Linie von außerhalb des Heimes Wohnenden. Im Obergeschoß das eigentliche Heim für 12 Schüler, einen Lehrer, die Heimleiterin und zwei weibliche Hausangestellte, dazu Küche, Bad usw.

Die freie Lage des Bauplatzes am Rande einer Siedlung direkt am Auenwald brachte für die äußere Form keine wesentlichen Beschränkungen. Nachbarbauten stehen erst in einiger Entfernung. Aus der Situation im Überschwemmungsgebiet der Elster und Luppe ergab sich eine sehr hohe Lage des Sammelkanals der Entwässerung. Dadurch wurde es notwendig, den Bau höher aus der Erde herauszuheben, als an sich erforderlich gewesen wäre. Für den Garten wurde im Gegensatz zu den meisten Nachbargrundstücken die Tieflage beibehalten und durch eine 2 m hohe Abschlußmauer an der Straße noch betont. Statt des üblichen Vorgartens wurde der durch die Bauordnung vorgeschriebene Abstand des Hauses von der Straße zu einem Vorplatz ausgebildet, über den der Zugang zum Heim erfolgt. Die Absicht, ihn als Teil des Bürgersteiges zu behandeln und dementsprechend zu pflastern, konnte leider nicht durchgesetzt werden. Der Einfachheit des Baukörpers und der erhofften starken Benutzung entsprechend wurde der Garten in nur wenige größere Flächen aufgeteilt. Ein kleiner Maßstab wurde nur bei der Ausgestaltung der hinter dem Hause liegenden ehemaligen Deichböschung angewandt: Sitzstufen im Viertelkreis um eine gestutzte Linde und ein kleines, aber regelmäßiges Alpinum.

Die Baupolizei forderte, daß der Fußboden der Hausmannswohnung einen halben Meter über dem Gartengelände liegen sollte. Daher ist dieser Teil des Untergeschosses gegen den übrigen Keller erhöht. Infolge der größeren lichten Höhe bedingte er eine Hebung des Fußbodens der Bücherei. Das war durchaus erwünscht, weil diese Räume wegen ihrer Kleinheit nicht die Höhe des übrigen Erdgeschosses vertrugen. Die Verschiebung hatte zwar die Wirkung, daß die Außenwände eine unruhige Teilung erhielten, sie bot dafür aber die Möglichkeit einer fröhlichen Raumbehandlung des Saales: das Innenfenster zur Bücherei und das Treppchen mit dem Rednerpult zeugen davon.
Für die Hausmannswohnung konnte von der Polizei die Genehmigung zum Bezuge trotz einwandfreier hygienischer Verhältnisse nicht erwirkt werden. Sie muß daher jetzt anderen Zwecken dienen. Daneben liegt ein geräumiges Gartenzimmer, für feuchtkalte Tage ebenso geeignet wie für heiße. Anschließend folgt der Heizraum für die Warmwasserheizung nebst Kohlenbunker; dieser wird von der Straße aus beschickt. Der Vorraum der Geschoßtreppe ist als Fahrradraum ausgebildet. Während der Bauzeit wurde er als Kleiderablage für den Saal ausgebaut, was einen besonderen Abschluß des Untergeschosses entbehrlich machte. Unterstützt durch entsprechend lichte Farbgebung ist es gelungen, im Empfangsraum des Erdgeschosses trotz der geringen Breite des Treppenhauses von 3 m eine durchaus freie Wirkung zu erzielen. Wesentlich verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, daß der Windfang vollkommen schwarz gestrichen wurde.
Für den Saal war die Balkenkonstruktion der Eisenbetondecke maßgebend. Die beiden Pfeiler, welche aus konstruktiven Gründen notwendig waren, sind nebst dem zugehörigen Deckenbalken ziegelrot gestrichen, während die übrige Decke weiß blieb. Da die Wände einen Beigeton erhielten, üben sie im Verein mit der großen Fensterwand eine beherrschende Wirkung aus. Auf einen Flur wurde zugunsten der übrigen Räume verzichtet. Die eine Klasse und die Bücherei sind notfalls durch Zwischentüren zu erreichen. An die Straßenseite wurden wegen des Lärms keine Fenster gelegt. Die Ruhe der Außenwand wirkt im Straßenbild wohltuend.

Vom obersten Treppenabsatz aus gelangt man zunächst zu den Bade- und Wirtschaftsräumen. Dieser Trakt wurde an die Straßenseite gelegt, um die ruhigen Gartenseiten für die Schlaf- und Arbeitszellen zur Verfügung zu haben. Von der Treppe aus gelangt man durch eine andere Tür in den quadratischen Oberlichtraum, der etwa dem römischen Impluvium entspricht. Hier spielt sich das „Familienleben“ ab mit seinen Mahlzeiten, Vorträgen, Besuchen, und dem übrigen Drum und Dran. Rings herum führen Türen zu den Schüler- und Lehrerzellen. Die weiblichen Hausangestellten haben ihre Zimmer hinter der „Barrikade“ der Wirtschaftsräume. Die Zellen sind so eingerichtet, daß sich je zwei Schüler einen Raum teilen. Das geschah auf Grund einer Umfrage bei den Betroffenen; diese ziehen die Doppelzelle der Einzelzelle vor. Zugunsten des Gemeinschaftsraumes wurden sie nur klein gehalten. Die Betten wurden nicht neben-, sondern übereinander angeordnet, so daß für jedes Bett eine lichte Höhe von 1,40 m entstand. Das wird als durchaus genügend empfunden. Allerdings gehören die übereinander befindlichen Betten verschiedenen Zellen an, so daß eine gegenseitige Belästigung der betreffenden Bewohnen vermieden wird. Das Fenster füllt die ganze Breite der Außenwand. Davor steht ein gemeinsamer Tisch, geteilt durch einen kleinen Aufsatz für Bücher. Diese Trennung ermöglicht bei gleichzeitiger Arbeit die nötige Konzentration. Ein kleiner Heizkörper an jedem der beiden Arbeitsplätze sorgt für genügend Erwärmung. Die Wand zum Gemeinschaftsraum wird aus Schränken gebildet, von denen je zwei zu den Zellen gehören. Die Waschgelegenheit ist im Baderaum untergebracht, wo jeder männliche Insasse ein besonderes Becken hat. Für die weiblichen Bewohner ist ein eigener Bade- und Waschraum abgetrennt. In der Küche befindet sich nur ein kleiner Gasherd, ein Warmwasserbereitungsapparat, ein Abwaschbecken und ein Müllschlucker in der Außenwand, mit direkter Abholung von der Straße her. Dadurch ist Raum für einen großen Klapptisch gewonnen, an dem die Schüler einen Teil ihrer Mahlzeiten einnehmen.
Es war ursprünglich geplant, das flache Dach als Sonnenbad auszubilden. Ersparnisgründe während der Bauzeit zwangen jedoch davon Abstand zu nehmen. Die Brüstung sollte in vollem Eisenblech ausgeführt werden.
Bei der Grundrißgestaltung ist einer rhythmisch guten Raumabfolge besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Sie ist aufgebaut auf den Gegensätzen von Raumgrößen, -höhen und -richtungen, unterstützt durch geeignete Lichtführung und sinnvolle Farbgebung. Diese ist überall fröhlich. Lauten Klängen ist kein Raum gegeben. Infolge dessen atmet der ganze Bau eine stille Heiterkeit, welche auf Insassen eine wohltuende Wirkung ausübt. Diesem inneren Rhythmus mußte die äußere Erscheinung manches Opfer bringen. Doch ging dies nicht so weit, daß nicht auch außen auf eine gewisse Ordnung gesehen wurde. Eine Gewähr von vornherein bot hier die streng kubische Erscheinung, die nur über dem Hauptgesims durch die „Laterne“ und die Schornsteine eine Lockerung erfuhr.
Zum Schluß mögen einige technische Angaben folgen. Die Baukosten betragen einschließlich der eingebauten Schränke und aller übrigen Nebenkosten (Aufschließungskosten, Gartenanlage, Einfriedung, Architektenhonorar, Bauführung) etwa 38 RM für 1 cbm umbauten Raumes.
Ausgeführt ist der Bau in Ziegelmauerwerk, mit Hohlschicht in den Außenwänden, die wegen der Wärmehaltung mit Torfmull ausgestampft wurden. Dieses Verfahren hat der Verfasser auch sonst mit Erfolg angewandt. Treppen, Stürze und Decken sind aus Eisenbeton. Die Decken liegen zwischen Pappschichten, was eine zufriedenstellende Schallisolierung zur Folge hat. Nur die Wände zwischen den Zellen der Heimleiterin und den Schülerzellen sind mit einer 4 cm starken Korkplattenschicht gegen Schall besonders gedichtet. Die „Repal“-Stahlfenster sind von der Firma Reinhold Patzschke in Leipzig zu einem Preis geliefert, der nur wenig über dem für gewöhnliche Holzrahmenfenster liegt. Verglast sind sie mit dem üblichen Fensterglas. Nur das Treppenhaus, die Aborte und das Bad sind mit halbdurchsichtigem Mattglas versehen. Hierdurch sind Vorhänge erspart und ist zerstreutes Licht erzielt. In einigen Räumen wurde ein Versuch mit Ultravitglas gemacht. Aus Ersparnisgründen mußten einfache Fenster verwandt werden. Auf Fensterbretter konnte verzichtet werden. Die Brüstungen wurden mit Zementmörtel verputzt und mit einer Sammelrinne für Schwitzwasser versehen. Die Fußböden sind meist mit Linoleum auf einer Schicht von Korkestrich belegt. Die Granitmuster sind auch bei starker Benutzung immer ansehnlich, während der Estrich stark schallhemmend wirkt. Im Vestibül wurden wegen der besonders starken Beanspruchung Solnhofer Platten verwandt. Die Klassen wurden aus Sparsamkeit mit deutscher Kiefer gedielt. Dagegen wurden für den Saal Xylolithplatten in drei Farben verwandt. Im Bau befinden sich durchgehend patentierte Sperrholztüren in schmaler Stahlzarge. Auch die andere Kante des Türlichten ist durch einen solchen Rahmen geschützt, während die Mauerleibung verputzt ist. Das Dach, begehbar ausgeführt, weist ein Gefälle von 1:50 auf. Die Dachrinne, gleichfalls im Gefälle 1:50, ist in den Dachüberstand eingearbeitet, dadurch ist jede Möglichkeit ausgeschaltet, daß Fehler in der Rinne zum Eindringen von Wasser in Decke oder aufgehendes Mauerwerk führen. Der Dachüberstand bringt den weiteren Vorteil mit sich, daß Schmutzfahnen ausgeschlossen sind, die an den Außenwänden der meisten kubisch gestalteten Bauten entstehen. Der Schlagregen kann auch nicht in das Mauerwerk eindringen. Trotzdem ist sogenannter Edelputz wegen seiner wetterbeständigen Eigenschaften verwandt. Der Dachüberstand hält zudem die sengenden Strahlen mittäglicher Sommerglut von Fenstern und Mauern ab. Die Farbe des Putzes ist weiß, die Fenster dunkelblau. Die Abfallrohre aus Zink und die Klinkerteile sprechen die Sprache ihres Materials. Es resultiert eine strahlende Wirkung, welche vorteilhaft von dem freudlosen Aussehen gleichzeitig errichteter Nachbarbauten absticht.